ESSAY

Stadt – eine Liebeserklärung

Stadt. Ein ziemlich sperriger Begriff. Bei »Google« erscheinen dazu innerhalb von 0,13 Sekunden 64.400.000 Einträge. An oberster Stelle erscheint ein »Wikipedia«-Eintrag, der Stadt als »eine größere, zentralisierte und abgegrenzte Siedlung mit eigener Verwaltungs- und Versorgungsstruktur im Schnittpunkt größerer Verkehrswege“ definiert. Nach »Wikipedia« ist »jede Stadt damit zugleich ein zentraler Ort.« [1]

Es gibt Weltstädte, Metropolen, Hauptstädte, Groß- und Kleinstädte, Hansestädte, Innenstädte. New York, Rio, Tokio sind nicht erst seit dem 80er-Jahre Song von Trio Rio Inbegriffe von »Stadt«. Die Liste lässt sich drei Jahrzehnte später um etliche Städte wie Shanghai, Moskau, London, Paris, Barcelona, Chicago, Rom, Istanbul oder Sydney erweitern. Städte mit teilweise jahrtausender alter Kultur. Im Vergleich dazu steckt Bremerhaven noch in den Kinderschuhen. Dennoch steckt in ihr dank seiner Schifffahrt, Industrie und seines Tourismus viel von alledem.

Ein Hauch von Weltstadt weht durch die Stadt – dank der vielen Schiffe, die in Bremerhaven anlegen und ihre Matrosen zu einem Landspaziergang einladen. Die Waren, die sie mitbringen, werden in ganz Deutschland ausgeliefert. Die Stadt trägt auf dem Autokennzeichen das H für Hansestadt. Auch wenn sie diesen Titel nur seinem großen Bruder Bremen verdankt. Das Herzstück der Innenstadt zeichnet sich durch eine große, neu ausgebaute Fußgängerzone aus. Anstatt Chinatown hat Bremerhaven ein portugiesisches Viertel. Die amerikanischen Soldaten, die in Bremerhaven stationiert waren, haben das Stadtbild mitgeprägt.

Viele Jahre habe ich immer gesagt, Bremerhaven kann man nur lieben, wenn man dort groß geworden ist. Heute sage ich, fahr mal hin und schau es dir an. Denn jedes Mal, wenn ich heute wieder »nach Hause« komme, denke ich, die Stadt ist nicht wiederzuerkennen: Klimahaus, Mediterraneo, das »Segelhotel«, der umgebaute Zoo, eine moderne, immer größer werdende Hochschule, neue Clubs, die Sail, das Schaufenster Fischereihafen, ein riesiges, hypermodernes Kino, die längste zusammenhängende Kaje der Welt, der viertgrößte Containerhafen in Europa. Es gibt jedes Mal wieder etwas Neues zu entdecken.

Stadt ist viel mehr als die Schubladen, in die auch ich, versucht habe, sie einzuordnen. Es ist ein ganz besonderes Lebensgefühl. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich in Berlin, Köln, Leipzig oder Bremerhaven wohne. Das Leben ist wichtig, wie uns spätestens die »Ikea«-Werbung bewusst gemacht haben sollte. Eines der intensivsten Stadtgefühle ist, aus meiner Sicht, die Dunkelheit. In der Stadt brennt immer Licht, während auf den Dörfern spätestens um 1 Uhr nachts, alle Straßenlaternen ausgeschaltet werden. Und nicht nur auf der Straße, sondern auch hinter den Häuserfassaden, gibt es immer jemanden, der wach ist, ein hell erleuchtetes Fenster.

Auch wenn Stadt den Ruf genießt anonym zu sein und soziale Kälte zu verbreiten, ist sie ein Ort der Geborgenheit. Sie passt sich meinem Lebensrhythmus an. Ich kann fast rund um die Uhr frühstücken gehen, einkaufen rund um die Uhr ist sowieso kein Problem mehr. Ich kann mich vollständig zurückziehen oder in den »Stadtfluss« eintauchen – also die Menschen, die von A nach B fahren, shoppen gehen, ins Büro laufen, sich in einem Restaurant treffen, ins Kino gehen oder was trinken.

Stadt liegt wieder voll im Trend – egal ob Single, Familie mit Kindern oder Rentner. Wohnräume zerfließen immer mehr zu allround-genutzten Flächen. Die eigenen vier Wände werden zunehmend als Büro genutzt, als Empfangsraum für Kollegen, Geschäftspartner und Gäste. Dadurch ändern sich auch soziale Strukturen.

Jede Stadt hat seine schönen und hässlichen Seiten. Es geht nur um das Lebensgefühl, das ich in der jeweiligen Stadt, in der ich lebe, für mich herausziehen kann. Peter Fox hat es in dem Song »Schwarz zu blau«, einer Berlin-Liebeserklärung, gut beschrieben:

»Du bist nicht schön und das weißt du auch,
dein Panorama versaut,
siehst nicht mal schön von weitem aus,
doch die Sonne geht gerade auf,
und ich weiß, ob ich will oder nicht,
dass ich dich zum Atmen brauch...«
[2]

Diese Zeilen treffen auf jede Stadt zu. Wache ich in Bremerhaven im Sommer bei geöffnetem Fenster auf, wecken mich kreischende Möwen. Gehe ich vor die Haustür weht mir eine angenehme Brise um die Nase. Ich kann hier nicht nur wohnen, sondern leben. Bremerhaven bietet viele Räume für alle möglichen Interessen und Lebenssituationen.

Dennoch soll und darf sich Bremerhaven nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen. Denn der Wandlungsprozess hat gerade erst begonnen: quasi vom »hässlichen Entlein zum hübschen Schwan«. Die Stadt hat nach wie vor noch unattraktive Ecken, die schöner und effektiver gestaltet werden sollten. Das Projekt »15räume« zeigt mit provokanten Lösungsvorschlägen, wie Bremerhaven auch in Zukunft seine Bewohner und Besucher durch ungewöhnliche und sinnvolle Architektur verschönern und verbessern kann.

Ich will schließlich auch weiterhin voller Stolz sagen können:
»Ich fahre nach Bremerhaven.«.

 

Anna Sokowski

 

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Stadt, [2] Lyrics- Peter Fox – »Schwarz zu blau«